Aus dem Kokon kommt ein tiefes Seufzen, offenbar hat sie wieder Substanz genug zu atmen. Irgendwo wird wohl gerade der Sommernachtstraum gespielt – dieses verfluchte Stück, das sie überhaupt erst in diese Lage gebracht hat. Ohne dieses Stück, ohne das Theater wäre sie jetzt nur noch ein vergessenes Wispern in einem dunklen Dickicht in einem immer kleiner werdenden Wald – aber der Kobold wusste es wie immer besser.
Es waren natürlich die Namen: Spinnweb, Motte, Senfsamen und Erbsenblüte. Lächerlich. Senf und Blüte hatten von Anfang an keine Chance. Zu floral – und hier gab’s nicht Licht, Wasser, Erde. Beide sind jetzt schon seit hundert Jahren in ihren Kokons.
Was sollte ich auch gross machen, spinnen und weben war das einzige. Aber das hat man davon, wenn man einem Landei versucht über die Natur der Elfen zu sprechen. Das Wachsende, Blühende, Brennende, Lichte; das Hüllende, Fangende, Wehende, Zarte: Insekten und Pflanzen. Bah.
‚Spinnweb’ – sie kommt wieder zu sich – ‚Ja, was ist’
‚Da ist ein Licht’
‚Sie spielen wieder dieses Stück’
‚Nein, anders’
Sie deliriert; das ist das Gift. Motte galt immer schon als Schädling im Theater- die wertvollen Kostüme und all das. Solange es bei Lavendelkissen bliebt, hatten wir sogar unseren Spass daran – ich wob die Blüten in Kränze, die sie mir zu gefallen trug. Aber seit sie dieses Naphthalin haben, geht’s zuende.
Diesmal ist das Ende schlimmer als vor 300, 400 Jahren. Vergessen werden und verwehen ist schmerzlos. Langsam verblassen, weil keiner mehr glaubt, Angst hat, einen Bogen um Feenkreise geht – man dämmert so weg, schläft. Vielleicht träumt man auch – nein, das kam später, so haben wir damals noch nicht gedacht – aber Gift, die Zerstörung der physischen Form.
Der Kobold hat uns damals gerettet. Er hatte einem jungen Autor von uns erzählt – ihm vorgeschwärmt von den Geschichten, den Tricks, den Abenteuern – seinen Geschichten, Tricks, Abenteuern. Uns gab’s als Dreingabe, das Kroppzeug, das Gefolge der Königin. Und er ist ja auch fein raus – als einziger kann er sich frei in der Welt bewegen. Selbst den König und die Königin existieren nur noch im Theater. Sind aber Hauptrollen – die haben die Bewunderung des Publikums aufgesogen wie ein Schwamm, halten sich jetzt für Theatergötter. Und der Kobold hat sogar seinen eigenen neuen Aberglauben – nicht pfeifen auf der Bühne, nicht essen, nicht mit Strassenkleidung über die Bühne – Angeber.
‚Spinnweb, du musst mir helfen. Ich kann das Licht nicht finden’ – ‚Ich bin gleich bei dir’
Vielleicht hilft’s ja. Uns gibt es auf allen Bühnen, jedes Publiklum kennt die Elfen des Sommernachtstraums. Unsere Welt ist nicht mehr der Wald, die Natur – wir leben in einem riesigen Theater. Das Echo aller Bühnen dieser Welt hallt hier auf unserem Dachboden wieder.
‚Ja Motte, was ist?’ – ‚Da ist ein Licht – wir müssen dahin’
‚Das ist doch nur wieder die alte Leier’ – ‚Nein, sieh doch. Das ist eine neues Stück. Und sie haben eine Elfe mit Flügeln. Siehst du das Licht?’ – ‚Ja’
Und wie es schien. Es zog uns an wie – ja – wie das Licht die Motten. In einem Theater in London. Hunderte Kinder – es war der Tag nach Weihnachten – staunend und wie gebannt von dem was sie sahen. Und die Elfe starb – und der Junge, der mit ihr durch die Welt flog, fleht die Zuschauer an: „Wenn ihr alle ganz fest an Elfen glaubt, kommt sie vielleicht zurück. Glaubt ihr an Elfen?“ Und erst langsam, dann immer lauter rufen, schreien, brüllen hunderte von Kindern – „Wir glauben an Elfen“.
Es schleudert uns auf unserem Dachboden zurück. Mottes Kokon glüht, sie reflektiert das Licht, all den Glauben. Immer heller scheint es, es verzehrt die Hülle; blendet mich. Da steht sie – licht, zart, zerbrechlich. Sie ist wunderschön.
Ein Geräusch, ich drehe mich um: ‚Ach du bist es, willkommen Kobold’
‚Peter – heute bin ich Peter’
Fitzlade, Dezember 2006
0 comments:
Kommentar veröffentlichen